f Sandwüste bei Celle - Suche nach „Abbenburen“ (Hambühren) ~ Heimatforschung im Landkreis Celle

Sonntag, 17. September 2017

Sandwüste bei Celle - Suche nach „Abbenburen“ (Hambühren)




Die einstige Sandwüste westlich von Celle und die Suche nach dem alten Dorf „Abbenburen“ (Hambühren)

Im Raum Celle gibt es einige Geschichten um "vergessene Dörfer", sogenannte "wüste Orte" oder, wie sie fachsprachlich bezeichnet werden: Ortswüstungen. Im nachfolgenden Beitrag wird die Überlieferung um einen altes, heute nicht mehr vorhandenes Dorf bei Hambühren untersucht. Dieses soll angeblich unter den großen Sandmassen einer Wanderdüne verschüttet worden sein... 

Unweit des heutigen Dorfes Hambühren befindet sich ein Platz der den Flurnamen „Im alten Dorfe“ trägt. Der Platz liegt etwa 2,0 Km östlich von Hambühren und somit in etwa auf halber Strecke in Richtung Celle.

Der Überlieferung nach stand an dieser Stelle einst das alte (ursprüngliche) Dorf Hambühren. Den Erzählungen nach soll der Ort zunehmend von Wanderdünen verschüttet worden sein, sodass sich seine Bewohner veranlasst sahen, den ursprünglichen Dorfplatz aufzugeben und weiter westlich ein neues Dorf „Hambühren“ zu gründen.[1] Bis heute sind vor Ort auffällige Dünenberge erkennbar. Darüber hinaus ist ein entsprechender Flurname überliefert, der in offiziellen Karten geführt wird.

Quelle: Region Celle Navigator / LGLN.

Neben der Überlieferung eines wüst gefallenen Dorfes wird in diesem Zusammenhang von einer Legende berichtet. Dieser zufolge soll es bei Hambühren einen „Schatz im Geldloch“ geben:

Zwischen der Schäferei bei Celle und Hambühren liegt eine Gruppe ansehnlicher Sandhügel, die der Wind zusammengeweht hat. Die Celler Spaziergänger nennen sie „die sieben Berge“ oder wohl gar „die Hambührener Schweiz“. Hier lag in alten Zeiten das Dorf Hambühren mit seinen Hofen und Gärten. Aber der Westwind blies jahraus, jahrein den leichten fliegenden Sand aus dem Allertale gegen das Dorf, also dass die Äcker und Gärten versandeten, wie es in einem alten Liede heißt:

„De Wind, de weiht,
De Hahn, de kreiht,
De Sand fängt an to weihen.“

Schon war zu sehen, dass mit der Zeit auch die Gebäude zustürmen würden.

„De Wind, de weiht,
De Hahn, de kreiht,
Bald ligt dat Dörp in’n Sarge.“

Da blieb den Bauern nichts anderes übrig, als ihre alten Wohnplätze zu verlassen. Sie brachen die Höfe ab und bauten sie eine Strecke weiter nach Westen wieder auf. Die Stelle, wo vormals die alten Höfe lagen, heißt heute noch immer „im alten Dorf“, obgleich wohl mehr als ein halbes Jahrtausend vergangen ist, seit die Dünen von dem Gelände Besitz genommen haben. 

Bild: traditionelle Dorfansicht. Quelle: König, in: Lüneburger Heimatbuch Bd. 2. 

Man erzählt sich in Hambühren, dass im „alten Dorf“ an einer Stelle, die „das Geldloch“ heißt, ein Schatz vergraben liege. Nur beherzten Männern werde es gelingen, ihn zu heben, wenn sie in der Geisterstunde von 12 bis 1 Uhr nachts nachgraben, ohne dabei auch nur ein einziges Wort zu sprechen. Einen pechschwarzen Hund müssten sie zur Stelle haben, der schließlich den Schatz aus dem Boden herauskratzen werde.

Vor langen Jahren sollen einige unerschrockene Männer es unternommen haben, dern Schatz zu gewinnen. Sie kamen bei Nacht und Nebel mit einem schwarzen Hunde zum „Geldloch“ und schaufelten eine tiefe Grube in den Sand. Endlich stieß einer der Männer mit seinem Spaten an einen harten Gegenstand, dass es klang. „Da ist er!“ rief er heftig aus, aber in demselben Augenblick versank der Schatz viele Klafter tiefer in den Boden und alle Arbeit war vergebens, weil der Schatzgräber seine Zunge nicht im Zaume gehalten hatte.[2] 

Es gibt auch geringfügige Abwandlungen zu dieser Version der legende, wonach der Schatz aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges stammen soll.[3] Im Ergebnis bleibt es jedoch bei der Überlieferung eines durch Wanderdünen versandeten und daher wüst gefallenen Dorfes. Die Legende vom Schatz ist allerdings getrennt von der Überlieferung eines wüsten Dorfes zu untersuchen, denn die Schatz-Legende knüpft an die Existenz der Ortswüstung an und nicht umgekehrt.

Bild: Dünenhügel bei Hambühren im Bereich der Flur „Im alten Dorf“. Quelle: Hendrik Altmann.

Der handfeste Beweis für das Vorhandensein eines verlassenen Dorfplatzes – und damit einer alten Ortswüstung – kann vermutlich nur durch archäologische Untersuchungen abschließend erbracht werden. Dennoch sollen nachfolgend die örtlichen Gegebenheiten und Umstände untersucht werden. Diese können Ausgangspunkt für weitere Analysen sein.

Zunächst stellt sich die Frage aus welcher Zeit die Ortswüstung des „altes Dorfes“ stammen könnte. Erstmals urkundlich erwähnt wird der Ort Hambühren am 31.12.1320, als Herzog Otto von Braunschweig und Lüneburg dem Ritter Gebhard Schlepegrell dem Älteren Leibeigene aus Hambühren überlässt.

Quelle: v. Hodenberg, Lüneburger Urkundenbuch Bd. 15, Celle 1859, Urk. Nr. 118.

Spätere Erwähnung fand der Ort Abbenburen insbesondere im Vogtei-Schatzregister von 1372 sowie im Schatzregister der Großvogtei von 1438.[4] Letzterem zufolge war der Ort in „dat kerspel to Winsen“ (Das Kirchspiel zu Winsen) eingepfarrt. In den Schatz- und Zinsregistern findet sich jedoch kein Hinweis auf die Lage des Ortes bzw. auf eine Verlagerung. Es fehlt somit ein historischer Quellennachweis dafür, dass der Ort Abbenburen bzw. Hambühren sich einst an anderer Stelle als heute befunden hat. Denkbar wäre allerdings, dass lediglich die genaue Beschreibung des ursprünglichen Standorts fehlt sowie der Hinweis, dass der Ort umsiedelte.

Der erste zuverlässige kartografische Nachweis des Ortes Hambühren stammt aus der Zeit um das Jahr 1600, als der Kartograph Johannes Mellinger (1538 – 1603) seinen Atlas des Fürstentums Lüneburg veröffentlichte.[5] In seiner Kartenmappe zeigte Mellinger den Ort Hambühren leicht südwestlich von Boye und deutlich innerhalb der Winsener Vogtei-Grenze.

Quelle: Johannes Mellinger – Atlas des Fürstentums Lüneburg um 1600.

Es gibt aufgrund dieser Darstellung zunächst keinen Zweifel daran, dass Mellinger um 1600 bereits von der heutigen Lage des Dorfes Hambüren ausgehen konnte. Für seine Verortung diente insbesondere die Einmündung des heutigen Grobebachs, der vom Entenfang, nördlich von Boye, oberhalb des Ortes in die Aller mündete. Mellingers Karte zeigt den Verlauf des Baches, der sich im Laufe der Zeit kaum verändert hat. Hätte Mellinger den Ort Hambühren im Bereich der Flurbezeichnung „Im alten Dorf“ darstellen wollen, so wäre es ein Leichtes gewesen den Ort anhand der Bachmündung weiter östlich einzutragen.

In den kartografischen Darstellungen der folgenden Jahrhunderte wird der Ort Hambüren stets an seiner heutigen Position gezeigt. Auffällig ist indes der Verlauf der Verwaltungsgrenze zwischen Celle und Hambühren. Eben dort, wo sich die Flur „Im alten Dorf“ befindet, weist der Grenzverlauf eine auffällige Ausbuchtung auf.

Quelle: Kurhannoversche Landesaufnahme, 1780; Google Earth.

Es fehlen insofern kartografische Belege, die eindeutig für einen einstigen Standort des Ortes Hambühren weiter östlich sprechen. Damit lässt sich festhalten, dass neben der vorliegenden schriftlichen und mündlichen Überlieferungen zur Ortswüstung Hambührens keine eindeutigen Quellenbelege existieren, die den mutmaßlichen Standort zweifelsfrei bestätigen.

Es sind daher vorwiegend Indizien, die eine Existenz der Ortswüstung plausibel nahelegen. Zu diesen Indizien zählt insbesondere die Darstellung des Celler Stadtchronisten Clemens Cassel, nach der es im 15. Jahrhundert zu einer Beeinträchtigung durch Flugsand kam.[6] Cassel berichtete über die westlich der Stadt Celle gelegenen Felder wie folgt:

„Dies Ackerland war unter Flugsand begraben. Da die Gefahr bestand, dass der lose Sand durch Westwinde der Stadt näher zugetrieben und Stadtgräben und Tätze[7] zugeschüttet werden möchten, überließen die Herzöge Heinrich und Wilhelm der Jüngere um 1565 das Gelände dem Magistrate unter der Bedingung, dass der „schändliche Ort“ mit Eichen bepflanzt und mit Sandhafer besäht würde. Die Bemühungen waren erfolglos. Immer wieder und wieder legte der Wind die Wurzeln der jungen Stämme bloß, obwohl man zwischen die Eichen Besenpfriem („Brammer“), Fuhren und Eschen gesetzt hatte. 1602 waren sämtliche Pflänzlinge längst wieder eingegangen. Neue Aufforstungen erfolgten in den Jahren 1604 und 1646. Aber auch sie mißrieten. Noch im 17. Jahrhundert geben Bürgermeister und Rat den völlig ertraglos liegenden „Heisterkamp im Sande über der Tätzebrücke“ auf. Der Name des anstoßenden Forstbezirks „Sandschellen“ erinnert noch an das Vorkommnis, noch mehr jedoch die eigenartige Bodenbildung des hügligen Geländes. Um dem Weiterwandern der Sanddünen nach Süden zu wehren, scheint man zu dem Mittel der Anpflanzung von Fuhren gegriffen zu haben. Die Benennung „Fuhrenzaun“ spricht für diese Mutmaßung.“[8]

Leider bleibt Cassel einen entsprechenden Quellennachweis für diesen wichtigen historischen Hinweis schuldig. Unterstellt man die Richtigkeit seiner Angaben, müsste die Versandung der westlich von Celle gelegenen Gebiete sich bis ins 17. Jahrhundert gezogen haben, wobei der Beginn scheinbar in der Mitte des 16. Jahrhunderts verortet werden muss. In diese Zeit, nämlich in den Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, legt Barenscheer einen Umbruch in der Viehhaltung.[9] Verantwortlich für eine verstärkte Beweidung war laut Barenscheer der erhöhte Bedarf nach Wollerzeugnissen in Verbindung mit dem gestiegenen Potential der Verarbeitung von Stoffen sowie dem Handel mit diesen.[10]

Historisch belegt ist dieses Phänomen in weiten Bereichen des norddeutschen Raumes.[11] Die Ursachen für die Entstehung von Weh- bzw. Flugsanden und die anschließende Dünenbildung in jüngerer Zeit knüpft an die Wirtschaftsweise der Heidebauern an.[12] Diese bestand, bis zu den richtungsweisenden Agrarreformen im 19. Jahrhundert, vorwiegend aus Plaggenwirtschaft und Schafhaltung.[13] Die Plaggenwirtschaft ist dabei als simple Form der Düngergewinnung zu begreifen. Die Nährstoffarmut der Böden erforderte eine künstliche Düngung. Da weder moderne Kunstdünger noch ausreichend Dung bzw. Mist vorhanden war, griff man auf die Methode des Plaggenhiebs zurück.[14] Dabei wurden Wald- oder Heideplaggen abgetrennt, abgefahren und auf die Felder verbracht. Auf diese weise gelangten zwar in gewissem Maße neue Nährstoffe in den beackerten Boden. Allerdings führte diese Methode auch zu einer Zerstörung der oberen Bodenschicht in weiten Regionen. In der Mitte des 18. Jahrhunderts erlebte diese Wirtschaftsweise vielerorts ihren Höhepunkt, der gleichsam mit einer sprichwörtlichen „Verwüstung“ des Landes einherging.[15]

Wo die Wälder und Heiden fehlten, setzte eine erhebliche Vergrößerung der Flugsandflächen ein.[16]
Nach überschlägigen Berechnungen waren bei einem Hof, der ca. 170 Morgen Ackerland umfasste, rund 830 Fuder (Wagenladungen) Heidestreu und Plaggen zur Düngung pro Jahr erforderlich.[17] Mancherorts wurden daher bereits die Heideflächen knapp, denn die Äcker mussten schließlich jährlich gedüngt werden, während sich die Heiden jedoch nur in einem längeren Rhythmus regenerierten. Aus diesem Grund war die obere Bodennarbe häufig ganz abgetragen, der leichte Flugsand bot dem Wind eine Angriffsfläche und in vielen Bereichen entstanden sogenannte „Sandschellen“ (Binnendünen).[18] Die Fluren im Neustädter Holz, westlich der Stadt Celle tragen noch heute den Namen „Die Sandschellen“.[19]

Bild: Heidebauer beim Plaggenhieb. Quelle: König / Freudenthal, in: Lüneburger Heimatbuch Bd. 2, S. 390.

Zur Mitte des 18. Jahrhunderts ergaben sich vielerorts derart große Probleme durch Flugsande und Dünenbildung, dass durch Regierungsstellen Problemlösungen gesucht wurden.[20] Diese sahen letztlich verpflichtende Maßnahmen zur Befestigung der Böden vor. Unter anderem sollten Sandhafer, Abdeckungen mit Reisigzweigen sowie Gräben und angepflanzte Fuhren- bzw. Kiefernzäune das Problem der Flugsande in den Griff bekommen.

Diese Maßnahmen waren jedoch mancherorts nicht gerne gesehen, da sie einer anderen elementar wichtigen Wirtschaftsweise im Wege standen: der Schafhaltung. Diese verursachte ebenfalls immense Bodenschäden, da die Tiere in weiten Bereichen die Pflanzennarbe komplett zerstörten.[21] Mit dem ansteigenden Bedarf an Wolle, wuchsen die Ertragsaussichten der Heidebauern, die ansonsten kaum über Wirtschaftsalternativen verfügten. Überweidung und einseitige Wirtschaftsweise waren in weiten Teilen der Heidelandschaften die Folge.[22]

Bild: Dünenhügel bei Hambühren im Bereich der Flur „Im alten Dorf“. Quelle: Hendrik Altmann.

Diese historischen Hintergründe belegen indes noch nicht, dass es tatsächlich eine Ortswüstung Hambühren gegeben hat. Es wäre zwar durchaus möglich, dass Westwinde und Flugsande der Stadt Celle und ihrem Umland Probleme bereiteten. Damit wäre allerdings noch nicht bewiesen, dass diese auch dafür sorgten, dass die Bewohner Hambührens ihr Dorf aufgeben und anderenorts neu aufbauen mussten. Es stellt sich daher im Folgenden die Frage nach möglichen Standortfaktoren einer Siedlung im Bereich der Flur „Im alten Dorf“. Nur sofern hier grundsätzlich einst die erforderlichen Siedlungsfaktoren erfüllt waren, macht es Sinn hier nach den Spuren menschlicher Besiedlung zu forschen.

Die Lage von Siedlungen ist bedingt durch Standortfaktoren, die für das Überleben der Siedler entscheidend sind. Logischerweise erfolgt eine Ansiedlung dort, wo natürliche Standortfaktoren das spätere Wohnen begünstigen. Hierzu gehört neben einer vorteilhaften Bodenbeschaffenheit insbesondere die Anwesenheit von Wasser.[23] Die Erreichbarkeit der lebenswichtigen Ressourcen stellt zweifelsfrei einen entscheidenden Faktor der menschlichen Siedlungsfreudigkeit dar. Vor diesem Hintergrund erscheint es plausibel, dass die möglicherweise vorhandene Ortswüstung Hambührens im Zeitpunkt ihrer Gründung die grundsätzlichen Standortfaktoren besessen haben müsste. Unabdingbar wäre also insbesondere die Anwesenheit natürlicher Trinkwasserquellen gewesen. Eine Ansiedlung in Abwesenheit nutzbarer Wasserquellen erscheint indes unwahrscheinlich.

Bei der Ortsbegehung im Bereich der Flur „Im alten Dorf“ fallen zunächst die vorhandenen und gut erkennbaren Binnendünen auf. Diese erstecken sich entlang des gesamten Weges zwischen dem heutigen Ort Hambühren und der Flur „Im alten Dorf“.

Bild: Dünen entlang des Weges zwischen Hambühren und der Flur „Im alten Dorf“. Quelle: Hendrik Altmann.

Zunächst scheinen damit wichtige Besiedlungsfaktoren nicht erkennbar zu sein. Weder gute Böden, noch Wasser lassen sich auf den ersten Blick im Bereich der Flur „Im alten Dorf“ vorfinden. Hinzu kommt, dass die Böden, trotz einer oberflächlich angewachsenen Humusschicht nicht in der Lage sind, Feuchtigkeit in ausreichendem Maße zu speichern. Praktisch hätte eine Bewirtschaftung der sandigen Böden in diesem Bereich nur weinig bis keinen Ertrag hervorgebracht.

Allerdings kann die Abwesenheit guter Boden eventuell vernachlässigt werden, wenn man davon ausgeht, dass die Sandüberwehungen erst in jüngerer Zeit erfolgten. In diesem Fall würden sie den Grund für die Abwesenheit fruchtbarer Böden darstellen. Entscheidender ist daher die Frage nach vorhandenen Wasserquellen bzw. Bachläufen.

Tatsächlich sind in unmittelbarer Nachbarschaft zur Flur „Im alten Dorf“ die Überreste alter Flussbetten erkennbar. Diese heben sich insbesondere durch den Bewuchs mit stämmigen Eichen von der Umgebung deutlich ab. In den Uferbereichen der einstigen Flussbetten muss eine andere Bodenbeschaffenheit vorherrschen – dies zeigt sich insbesondere im Bewuchs.

Bild: altes Flussbett im Bereich der Flur „Im alten Dorf“. Quelle: Hendrik Altmann.

Die alten Flussläufe zählen zum Naturschutzgebiet der Allerniederung und gehörten sehr wahrscheinlich zu einem Altarm der Aller. Dieser scheint früher vor der in nördliche Richtung verlaufenden Allerkurve abgezweigt zu sein. Anhand des auffälligen Eichenbewuchses, innerhalb des ansonsten von Kiefern bewaldeten Geländes, zeigt sich der Verlauf dieses alten Flussarmes noch heute.

Weiter nördlich der Flur „Im alten Dorf“ mündete der Altarm in einem gut erkennbaren Delta wieder zurück in die Aller. Besonders wenn die Aller viel Wasser führte – insbesondere in Hochwasserperioden – dürfte der Altarm recht viel Wasser geführt haben. Dass er zumindest zeitweise große Wassermengen aufnahm ist im Bereich seines Mündungsdeltas erkennbar. Hier hinterließ das abfließende Wasser auffällige Spuren und trug große Teile des Untergrunds ab.

Bild: altes Flussbett im Bereich der Flur „Im alten Dorf“. Quelle: Hendrik Altmann.

Über den Nebenarm der Aller hätte eine ehemalige Dorfstelle gut mit Wasser versorgt werden können. Das Vorhandensein des Altarms ist somit durchaus als Standortfaktor für eine mögliche Ortswüstung zu werten.

Bild: altes Flussbett im Bereich der Flur „Im alten Dorf“. Quelle: Hendrik Altmann.

Unbeantwortet geblieben ist bisher die Frage nach dem Alter der Dünen im Bereich der Flur „Im alten Dorf“. Die historische Betrachtung (s.o.) legt nahe, dass die „Verwüstung“ der Gegend – und damit auch das Auftreten von Flugsanden und Dünen – verstärkt im 18. Jahrhundert auftrat. Aus dieser Zeit finden sich verlässliche Quellenberichte, die von der Dünenproblematik berichten. Allerdings kann die mögliche Ortswüstung nicht aus dieser Zeit stammen – ansonsten lägen offizielle Quellen vor, die darüber berichten würden.

Für das Alter der Dünen östlich von Hambühren liegt bisher keine genaue Datierung vor. Nur wenige Kilometer flussabwärts der Aller befindet sich allerdings in Höhe des Ortes Südwinsen ebenfalls ein ausgeprägtes Dünengebiet. Auch hier soll es angeblich zu Umsiedlung aufgrund von Flugsanden gekommen sein.[24] Für dieses Dünengebiet liegen jedoch recht genaue Datierungen vor. So konnte insbesondere unter der Anwendung einer C-14-Datierung festgestellt werden, dass die tieferen Dünenschichten bei Südwinsen im Regelfall ein Alter von ca. 9.400 Jahren aufweisen.[25] Die mittleren Schichten wurden immerhin noch auf ein Alter von ca. 3.500 Jahren v. Chr. datiert und die oberen Schichten auf die Zeit von ca. 500 n. Chr.[26] Erst viel später – nämlich im 18. Jahrhundert setzte demzufolge eine weitere Überwehung ein.[27]

Bild: Bodenschichten und Queerschnitt im Bereich der Flur „Im alten Dorf“. Quelle: Hendrik Altmann.

Inwiefern die Datierungen und Erkenntnisse auf das Dünengebiet östlich von Hambühren anwenden lassen ist unklar. Die geografische Nähe legt zumindest den Schluss nahe, dass es sich hier ähnlich verhalten haben könnte. Dann wäre eine im Mittelalter durch Sandverwehungen entstandene Ortswüstung jedoch sehr unwahrscheinlich.

Ein weiterer Umstand ist zu beachten. Im oberen Verlauf der Aller – nämlich im Raum Gifhorn – ist dasselbe Landschaftsbild vorzufinden. Auch hier prägen zahlreiche Binnendünen die Gegend entlang des ehemaligen Urstromtals der Aller. Für den Gifhorner Raum wurden die mittelalterlichen Wüstungen jedoch bereits umfassend erforscht und dokumentiert.[28] Von den rund 55 untersuchten wüst gefallenen Dörfern, Höfen oder anderweitigen Siedlungen findet sich bei keiner einzigen der Grund für das Verlassen der Siedlung im Vorhandensein von Wanderdünen. Dabei muss davon ausgegangen werden, dass die Umstände im Raum Gifhorn nicht übermäßig von denen bei Celle und Hambühren abwichen. Wären Flugsande und Wanderdünen also eine geläufige Ursache für Ortswüstungen in der Region, müsste diese Ursache wahrscheinlich wenigstens für andere Orte überliefert und belegt sein.

Bild: Dünen bei Hambühren nahe der Flur „Im alten Dorf“. Quelle: Hendrik Altmann.

Möglicherweise liegt die Wahrheit aber – wie so oft – in der Mitte. Die Vorstellung, dass sich mächtige Wanderdünen ein ganzes Dorf unter sich begruben mag vielleicht nicht zutreffen. Dennoch kann die Überlieferung eines alten und verlassenen Dorfes im Bereich der Flur „Im alten Dorf“ bei Hambühren auf Tatsachen hindeuten. So führte bereits Oberbeck in seiner Wüstungsforschung für den Raum Gifhorn aus, dass schlechte Böden nachgewiesen ein Faktor für das Entstehen von Ortswüstungen gewesen waren.[29] Die schlechten Bodenverhältnisse alleine führten allerdings noch nicht zwangsläufig dazu, dass Orte wüst fielen. Oft konnten die schlechten Böden nämlich durch Stall- und Plaggendüngung künstlich mit Nährstoffen angereichert werden. Es war somit in gewissem Maße möglich schlechte Bodenqualitäten auszugleichen.

Problematisch wurden die Verhältnisse erst dann, wenn es an Dünger fehlte. Eine Vielzahl der Ortswüstungen ist daher auf die Zeit der Rodungen zurückzuführen in der es zu einer Übernutzung der Wälder und damit zum Wegfall natürlicher Düngeressourcen kam.[30] Die Orte wurden daher nicht aufgrund von Flugsanden bzw. Wanderdünen aufgegeben, sondern weil sich die Bodenverhältnisse dermaßen verschlechterten, dass die beanspruchten Böden keinen landwirtschaftlichen Ertrag mehr hergaben.

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die Spuren der wüstenartigen Dünenlandschaft zwischen Hambühren und Celle noch heute deutlich zu erkennen ist. Mittlerweile sind die Sandhügel durch eine geschlossene Pflanzendecke geschützt. Aus heutiger Sicht ist es somit nicht leicht sich diesen Landstrich als bewuchslose Wüste vorzustellen. Historische Quellen belegen aber genau das – noch vor 300 Jahren muss es zwischen Hambühren und Celle wirklich „wüst“ ausgesehen haben. Ursächlich hierfür war insbesondere die landwirtschaftliche Übernutzung der Flächen. Wo die haltgebende Pflanzendecke fehlte konnte der Wind den Sand forttragen.

Bis heute halten sich die Erzählungen um das verlorene Dorf bei Hambühren. Die Geschichte entfaltet nicht zuletzt deswegen einen so großen Reiz, weil sie unmittelbar das Bild eines im Sand versinkenden Dorfes hervorruft. Aus analytischer Sicht sprechen maßgebliche Faktoren gegen eine Ortswüstung „Abbenburen“ bzw. Hambühren. Trotzdem sind die näheren Umstände bis heute nicht geklärt und vor Ort gegebene Standortfaktoren könnten eine einstige Siedlung tatsächlich begünstigt haben.

Damit bleibt festzuhalten, dass den abschließenden Beweis – oder Gegenbeweis – nur archäologische Untersuchungen ergeben können. Hierbei könnte insbesondere durch den Einsatz eines Bodenradars gezeigt werden, ob es möglicherweise Siedlungsspuren unterhalb der Dünenhügel gibt. Schlussendlich scheint das letzte Wort in der Frage nach einer Ortswüstung bei Hambühren also noch nicht gesprochen zu sein...

H. Altmann




[1] Barenscheer, Wanderdünen und verschüttete Dörfer im Allertal, in: Der Sachsenspiegel, Cellesche Zeitung, 31.03.1950; Seeling, Heimatkundliche Beiträge aus der Umgebung von Celle (nv); Alpers / Barenscher, Celler Flurnamenbuch, S. 161.
[2] Alpers / Breling, Celler Sagen aus Stadt und Land, 2. Aufl. 1949, S. 37.
[3] Seeling, Heimatkundliche Beiträge aus der Umgebung von Celle (nv).
[4] Grieser, Das Schatzregister der Großvogtei Celle von 1438, Hildesheim und Leipzig 1934, S. 8.
[5] Aufegbauer / Casemir / Geller / Neizert / Ohainski / Streich, Johannes Mellinger – Atlas des Fürstentums Lüneburg um 1600, Bielefeld 2001, Anhang 10, Die Vogtey Winßen an der Aller.
[6] Cassel, Geschichte der Stadt Celle, Celle 1930, S. 349 ff.
[7] Unterlauf der Fuhse, vor der Einmündung in die Aller (Tadiesleke) – der Fluss Tätze mündete au einem See in die Aller, dieser lag einst unmittelbar westlich der Ansiedlung Westercelle; Möller, Celle-lexikon, S. 223. 
[8] Cassel, Geschichte der Stadt Celle, Celle 1930, S. 349 ff.
[9] Barenscheer, Wanderdünen und verschüttete Dörfer im Allertal, in: Der Sachsenspiegel, Cellesche Zeitung, 31.03.1950.
[10] Ebd.
[11] Pyritz, Binnendünen und Flugsndebenen im Niedersächsischen Tiefland, Göttingen 1972, S. 14 ff.
[12] Ebd.
[13] Peters, Die Heideflächen Norddeutschlands, S. 50f.
[14] Kremser, Niedersächsische Forstwirtschaft, Rotenburg (Wümme), 1990, S. 345
[15] Hesmer / Schröder, Waldzusammensetzung und Waldbehandlung im Niedersächsischen Tiefland westlich der Weser und in der Münsterschen Bucht bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, S. 130.
[16] Pyritz, Binnendünen und Flugsndebenen im Niedersächsischen Tiefland, Göttingen 1972, S. 81 ff.
[17] Peters, Die Heideflächen Norddeutschlands, S. 64.
[18] Peters, Die Heideflächen Norddeutschlands, S. 64.
[19] Alpers / Barenscher, Celler Flurnamenbuch, S. 161.
[20] Hierzu vertiefend: Pyritz, Binnendünen und Flugsndebenen im Niedersächsischen Tiefland, Göttingen 1972, S. 81 ff.
[21] Dewers, Geologische Auswirkungen der früheren bäuerlichen Heidewirtschaft in Nordwestdeutschland, in: Natur und Volk, Bd. 65, S. 438-490, Frankfurt 1935.
[22] Pyritz, Binnendünen und Flugsndebenen im Niedersächsischen Tiefland, Göttingen 1972, S. 88 ff.
[23] Behr, Landnutzung und Kulturlandschaft, Göttingen 2013, S. 9 f.
[24] Barenscheer, Wanderdünen und verschüttete Dörfer im Allertal, in: Der Sachsenspiegel, Cellesche Zeitung, 31.03.1950;
[25] Pyritz, Binnendünen und Flugsndebenen im Niedersächsischen Tiefland, Göttingen 1972, S. 35 ff.
[26] Ebd.
[27] Ebd.
[28] Oberbeck, Die mittelalterliche Kulturlandschaft des Gebietes um Gifhorn, Bremen 1957.
[29] Ebd., S. 117.
[30] Ebd.

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