f 2018 ~ Heimatforschung im Landkreis Celle

Mittwoch, 28. November 2018

Einrichtung einer SA-Führerschule in der ehemaligen Burgkaserne


Die Celler Burgkaserne ist längst aus dem Stadtbild verschwunden. Ein interessantes Detail blieb in der lokalen Geschichtsschreibung bisher unerwähnt. Aktuelle Aktenfunde belegen, dass in der alten Kaserne  im Dritten Reich ursprünglich eine Führerschule der SA eingerichtet werden sollte. Es kam allerdings anders als geplant... 

In der am 04.08.2018 erschienenen Ausgabe des Sachsenspiegels berichtete Florian Friedrich ausführlich über die Geschichte der Celler Burgkaserne. Bei der umfangreichen Recherche Friedrichs musste ein Bestand, der sich im Niedersächsischen Landesarchiv in Hannover befindet, außer Acht bleiben, da dieser bei einer gezielten Suche nach der Burgkaserne unmöglich aufzufinden war. Obwohl der Bestand digital erfasst wurde, deutete jedoch keiner der hinterlegten Suchbegriffe auf eine inhaltliche Verbindung zur Celler Burgkaserne hin. Durch anderweitige Recherchen kamen die Unterlagen nun ans Tageslicht – ihr Inhalt soll dem interessierten Leser in Ergänzung zum Beitrag Friedrichs nachfolgend vorgestellt werden.

Die alte Burgkaserne befand sich einst am heutigen Standort des Schulzentrums Burgstraße und wurde im Rahmen einer Feuerwehrübung am 05.08.1935 niedergebrannt. Seit der Errichtung befand sich das Kasernengebäude im Eigentum der jüdischen Unternehmerfamilie Rheinhold, die es zunächst an die Militärverwaltung vermietete.[1] Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Kaserne als zivile Unterkunft genutzt und überwiegend an sozialschwache Familien vermietet. Auf Drängen der Nationalsozialisten verkaufte Otto Rheinhold die ehemalige Burgkaserne am 15.03.1934 unter Wert an die Stadt Celle. Im weiteren Verlauf erfolgte die Umsiedlung der Bewohner und letztlich der „warme Abriss“ der maroden Gebäude.


[1] Friedrich, 1935 brannte die Burgkaserne, in: CZ, Sachsenspiegel vom 04.08.2018.

Bild: ehem. Burgkaserne, Postkarte. Quelle: Archiv Altmann. 

Es stellt sich die Frage, warum die Stadt das Gebäude niederbrennen ließ, statt dieses selber zu nutzen. Die von Florian Friedrich ausgewerteten Verwaltungsberichte und zeitgenössischen Pressemitteilungen lassen darauf schließen, dass „durch diese Maßnahme der Stadtverwaltung (...) einer der unwürdigsten unsozialen Zustände im Sinne der (damaligen) Zeit beseitigt (wurde)“.[1] Allerdings hatte die Celler Stadtverwaltung offenbar ursprünglich völlig andere Pläne mit der alten Burgkaserne verfolgt, wie eingangs erwähnte Bestände des Niedersächsischen Landesarchivs bestätigen.

Die ausgewerteten Unterlagen belegen, dass der Celler Oberbürgermeister Ernst Meyer bereits am 07.03.1934 einen schriftlichen Antrag auf Bewilligung eines Darlehens in Höhe von 200.000 Reichsmark für die Einrichtung einer SA-Führerschule in der ehemaligen Kaserne unterzeichnete.[2] Das Antragsschreiben war an die „Deutsche Gesellschaft für öffentliche Arbeiten AG“ in Berlin gerichtet und umfasste zunächst eine allgemeine wirtschafts- und gesellschaftspolitische Beschreibung der Stadt Celle. Insbesondere wird darin die kulturelle Bedeutung Celles - aber auch die wichtige Rolle der Stadt als Behörden-, Industrie- und Militärstandort angepriesen. Letztgenanntes ist vor allem deswegen interessant, da sich Celle in dieser Zeit zu einem aufstrebenden Militär- und Rüstungsstandort entwickelte.[3]

Als „außerordentlich einschneidend“ wird gemäß des Antrags die Einrichtung einer SA-Sport- und -Führerschule bezeichnet, die im Frühjahr des Jahres (1934) erfolgen sollte und die für die Ausbildung von 800 bis 1.200 SA-Leuten in regelmäßigen Lehrgängen vorgesehen werden sollte.[4] Ursprünglich war die Sturmabteilung (SA) eine Kampforganisation der NSADP, die bereits in Zeiten der Weimarer Republik den politischen Aufstieg der Nationalsozialisten unterstützte, als innerpolitische Kampftruppe auftrat und als Ausbildungs- und Erziehungsinstrument der Partei eingesetzt wurde.[5] Die Celler SA hatte Anfang der Dreißigerjahre zwar noch so wenige Mitglieder, dass bei Aufmärschen SA-Abteilungen von außerhalb nach Celle geholt wurden[6] - allerdings stiegen die Mitgliederzahlen bis 1933 an und die Nähe zur kommunalen Verwaltung intensivierte sich.[7]


[1] CZ vom 07.08.1935.
[2] Antrag vom 07.03.1934; NLA Hann. 180 Lüneburg, Acc. 4/01 Nr. 54.
[3] Wienecke, Besondere Vorkommnisse nicht bekannt, S. 46.
[4] Antrag vom 07.03.1934; NLA Hann. 180 Lüneburg, Acc. 4/01 Nr. 54.
[5] Organisationsbuch der NSDAP, 3. Aufl. 1937, S. 358.
[6] Rohde / Wegener, Celle im Nationalsozialismus – Ein zeitgeschichtlicher Stadtführer, S. 17.
[7] Ebd. S. 19.

Bild: SA Gruppe Niedersachsen, Zigarettenbilder. Quelle: Deutsche Uniformen, Album SA, SS, HJ, Sturm Zigarettenfabrik Dresden-A, 1933. 


Im Antrag vom 07.03.1934 wurde die Burgkaserne als „Elendsviertel“ beschrieben. „Fast keine der Wohnungen ist ordnungsmäßig in sich abgeschlossen; vielmehr sind die ehemals als Mannschaftsstuben benutzen Räume durch Bretterwände unterteilt (...).[1] Weiter noch: es sei deshalb kein Wunder, dass die (...) Burgkaserne eine Brutstätte „asozialer Gesinnung“  und „kommunistischer Bestrebungen“ sei. „Eine restlose Räumung der Burgkaserne ist deshalb mit größter Beschleunigung durchzuführen.“[2] Zur Untermauerung dieser Aussagen wurde dem Antrag eine statistische Übersicht der Ortspolizeibehörde beigefügt, die für die Jahre 1932 und 1933 alleine 52 Strafsachen belegt, „für welche als Täter Bewohner der Burgkaserne in Frage kamen (...).“[3] 21 Fälle erfüllten danach den Tatbestand von Hoch- bzw. Landesverrat.

Vor diesem Hintergrund wurde Seitens der Stadtverwaltung der Umbau der ehemaligen Burgkaserne zu einer SA-Führerschule angestrebt. Derartige Institutionen – später auch als Reichsführerschulen (RFS) bezeichnet – dienten als Schulungsstätten der verschiedenen NS-Kampfverbände und sollten den Nachwuchs der einzelnen Organisationen ausbilden.

Aus der Antragsbegründung vom 07.03.1934 gehen insbesondere die Vorteile hervor, die sich die Stadt durch die Einrichtung der SA-Führerschule versprach. Unter anderem rechnete man mit dem Zuzug von rund 40 neuer „konsumfähiger“ und „zahlungskräftiger“ Familien. „Sehr bedeutsam (sei) ferner zu werten, daß die Umgebung der Burgkaserne durch die Säuberung von asozialen Elementen in erheblichem Umfange an Wert steigen wird“, heißt es in der Antragsbegründung weiter. „Nach Amortisation der für den Ankauf und Umbau der Burgkaserne aufgewendeten Mittel wird schließlich die Stadt ein überaus wertvolles Grundstück und Gebäude ihr Eigen nennen können (...)“[4]

Dem Antragsschreiben wurden detaillierte Baupläne sowie ein Kostenüberschlag des Oberregierungs- und Baurats vom 13.03.1934 beigefügt.[5] Darin wurden die Kosten für Instandsetzungsarbeiten, Neuanlagen, Einrichtung und sonstige Positionen mit insgesamt 450.000 Reichsmark veranschlagt. Die Ausstattungskosten für eine Belegung mit 800 Mann wurden in Summe mit 96.000 Reichsmark kalkuliert – hierbei waren unter anderem bereits Kosten für Trinkbecher (0,30 RM), Handtücher (2 x 0,56 RM), Bettlaken (2,78 RM) und anteilige Tischkosten (2,50 RM) berücksichtigt.[6]

Mit Schreiben vom 09.03.1934 bestätigte der Präsident des Landesarbeitsamtes, dass er den Antrag der Stadtgemeinde Celle auf Bewilligung des Darlehens für die Einrichtung einer SA-Führerschule befürwortete.[7] Laut Schreiben war die Maßnahme dem sogenannten „Reinhardtprogramm“ zugeordnet, d.h. einer Maßnahme im Rahmen der Arbeitsbeschaffung, die maßgeblich auf dem am 01.06.1933 in Kraft getretenen Gesetz zur Verminderung der Arbeitslosigkeit fußte.[8]


Bild: Lage der ehem. Burgkaserne. Quelle: Katasterkarte, 1925; Kartenlayer Google Earth; Repro Altmann. 

Bis zum 13.03.1934 waren somit alle Voraussetzungen erfüllt – lediglich das Gebäude befand sich noch im Eigentum des Unternehmers Otto Rheinhold. Wie Florian Friedrich in seinem Beitrag bereits berichtet hatte, erschienen nach Aussage von Walter Rheinhold, dem Sohn Ottos, am 14.03.1934 Vertreter der Celler Stadtverwaltung im Büro seines Vaters.[9] Tags darauf erfolgte der Verkauf durch Otto Rheinhold – aus der Zwangslage heraus.

Bereits am 25.04.1934 erreichte den Regierungspräsidenten in Lüneburg das Bewilligungsschrieben der „Deutsche Gesellschaft für öffentliche Arbeiten AG“ aus Berlin.[10] Die Gesellschaft erklärte sich bereit der Stadt Celle das Darlehen in Höhe von 200.000 RM für die Einrichtung einer SA-Führerschule zu gewähren.[11] Die Auszahlung sollte entsprechend dem Baufortschritt erfolgen. Dem Beginn der Baumaßnahmen stand somit im Frühjahr 1934 eigentlich nichts mehr im Wege. Es kam jedoch zu einer unerwarteten Wendung.

Spätestens mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler durch den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg am 30.01.1933 und der hiermit einhergehenden Machtergreifung eskalierte die Hackordnung, die seit jeher zwischen den einzelnen nationalsozialistischen Organisationen bestanden hatte. Die SA hatte die NSDAP und Hitler massiv im Aufstieg unterstützt – entsprechend dankbar zeigte sich der neue Reichskanzler gegenüber dem SA-Stabsführer Ernst Röhm. Insbesondere Hermann Göring, Joseph Goebbels und Heinrich Himmler fürchteten um ihre eigenen Machtpositionen und dass die SA unter Ernst Röhm eine Vormachtstellung unter den NS-Organisationen einnehmen könnte.

Es wurden Gerüchte verbreitet, wonach Röhm mit der SA einen Aufstand plane. Um diesem zuvor zu kommen, mobilisierte Hitler die SS sowie die Reichswehr und stattete Röhm am Morgen des 30.06.1934 einen überfallsartigen Besuch in Bad Wiessee ab, wo sich dieser auf einer Kur wegen eines rheumatischen Leidens befand.[12] In der Folge des sogenannten „Röhm-Putsches“ kam es zu Verhaftungen und Erschießungen von SA-Leuten im gesamten Reichsgebiet. Die Ermordung Röhms am 01.07.1934 und etwa 200 seiner Gefolgsleute führte die SA in die Bedeutungslosigkeit – ihre Machtkompetenzen wurden auf andere Bereiche verteilt.

Der Niedergang der SA zeigte offenbar ebenfalls Auswirkungen auf die Planungen zur Einrichtung einer SA-Führerschule in Celle. Kurz gesagt: die Pläne waren damit vom Tisch. Gemäß Tagesordnungspunkt Nr. 12 der Ratssitzung vom 19.06.1934 lautete es hierzu:[13]

„Inzwischen haben sich die Verhandlungen mit der SA dahin geklärt, dass nicht mehr die Absicht besteht, eine SA-Führerschule in Celle zu gründen, und also die Burgkaserne als solche nicht mehr von der SA in Anspruch genommen wird.“


[1] Antrag vom 07.03.1934; NLA Hann. 180 Lüneburg, Acc. 4/01 Nr. 54.
[2] Ebd.
[3] Ebd.
[4] Antrag vom 07.03.1934; NLA Hann. 180 Lüneburg, Acc. 4/01 Nr. 54.
[5] Kostenüberschlag vom 13.03.1934; NLA Hann. 180 Lüneburg, Acc. 4/01 Nr. 54.
[6] Ebd.
[7] Der Präsident des Landesarbeitsamtes Niedersachsen, Schreiben vom 09.03.1934; NLA Hann. 180 Lüneburg, Acc. 4/01 Nr. 54.
[8] RGBl. I Nr. 60, S. 323.
[9] Friedrich, 1935 brannte die Burgkaserne, in: CZ, Sachsenspiegel vom 04.08.2018.
[10] Schreiben der Deutsche Gesellschaft für öffentliche Arbeiten AG vom 20.04.1934; NLA Hann. 180 Lüneburg, Acc. 4/01 Nr. 54.
[11] Ebd.
[12] Frei, Der Führerstaat – Nationalsozialistische Herrschaft 1933 bis 1945, S. 1.883.
[13] Tagesordnungspunkt 12, Ratssitzung vom 19.06.1934, StadtA CE Best. 15 Best. 15 B Nr. 0236.

Bild: ehem. Burgkaserne, Postkarte. Quelle: Archiv Altmann. 

Offenbar beabsichtigte die Stadt das Darlehen, das ja bereits bewilligt worden war, trotzdem zum Ausbau der Burgkaserne aufzunehmen. Den entsprechenden Antrag an den Rat der Stadt begründete Oberbürgermeister Ernst Meyer unter anderem mit laufenden Verhandlungen mit der Reichswehr, um die Burgkaserne nach der Instandsetzung gegebenenfalls für militärische Zwecke zu nutzen.[1] Hierzu kam es allerdings nicht, sodass man nun im Besitz einer völlig maroden und unrentablen Immobilie war, deren erhoffter Nutzen selbst bei einer teuren Renovierung mehr als fraglich blieb.

Am 05.08.1935 brannte die Burgkaserne schließlich im Rahmen einer Feuerwehrübung nieder. Zur Einrichtung einer politischen Ausbildungseinrichtung ist es somit nicht mehr gekommen.

Allerdings wird aus den gesichteten Unterlagen deutlich, wie eng die nationalsozialistischen Organisationen mit der politischen Verwaltung kooperierten und auch umgekehrt. Andernfalls hätte die Bearbeitungszeit eines derartigen Antrags wohl kaum weniger als einen Monat gedauert – was bei derartigen Prozessen schon ziemlich sportlich ist. Und noch etwas geht implizit aus den Unterlagen hervor: durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und eine rücksichtslose Politik auf Rechnung schwächerer Bevölkerungsschichten gelang es den Nationalsozialisten nach der Machtergreifung ihre Stellung zu festigen.

H. Altmann



[1] Protokoll der Ratssitzung vom 19.06.1934, StadtA CE Best. 15 Best. 15 B Nr. 0236.